Coburg – Er will endlich ausschlafen, sie macht morgens gern im Schlafzimmer Yoga. Sie hofft auf mehr Theaterbesuche, er sieht lieber fern. Er ist genervt, wenn sie ihn mit dem Staubsauger beim Zeitunglesen stört. Sie meckert, weil er die falsche Marmelade aus dem Supermarkt mitgebracht hat. Wenn beide Partner in Rente sind, sieht die Realität oft anders aus als die zuvor so idyllische Vorstellung. Paare, die bisher vor allem damit beschäftigt waren, Job, Familie und Haushalt zu managen, und allenfalls am Wochenende oder im Urlaub Zeit füreinander hatten, sind nun rund um die Uhr zusammen. Viele haben es geradezu verlernt, Zeit miteinander und nicht nur nebeneinander zu verbringen.
„Das Leben miteinander, die Wünsche nach Nähe und Distanz müssen neu ausgehandelt werden“, sagt Eheberater und Pädagoge Prof. Michael Vogt, der an der Hochschule Coburg Paartherapeuten ausbildet und ein Beratungskonzept für ältere Menschen entwickelt hat. „Schwierig wird es immer dann, wenn der eine dem anderen vorzugeben versucht, wie er seinen Tag zu gestalten hat.“ Zugleich fallen die sozialen Beziehungen des Berufslebens weg
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Die Situation eines Paars im Ruhestand „ist einem jungen Paar, das sich erst seit kurzem kennt und nun Gemeinsamkeiten auslotet, gar nicht so unähnlich“, sagt Franz Thurmaier, Leiter des Instituts für Forschung und Ausbildung in der Kommunikationstherapie in München, der Kommunikationstrainings-Programme für Paare entwickelt. Wie gut der Einstieg in den neuen Abschnitt gelingt, hängt auch davon ab, in welchem Maß beide Partner bereit sind, sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen. Weiß ich überhaupt noch, was meinen Partner interessiert, woran er Freude hat? Beide sollten für sich die Frage klären, was sie sich für sich selbst und für das Leben mit dem Partner wünschen, und sich dann darüber austauschen, so Thurmaier.
Noch besser sind die Voraussetzungen, wenn sich das Paar dafür auch vorher schon Zeit genommen hat. Jedem Paar, unabh#ängig vom Alter, würde es gut sich in regelmäßigen Abständen die Frage zu stellen „Wo stehen wir, und wo wollen wir hin“, meint auch Vogt. Schwieriger wird es, wenn ein Partner unzufrieden ist. „Falsch wäre es jetzt, zu nörgeln und zu schimpfen“, sagt Thurmaier. Er rät: „Erst einmal auf sich selbst schauen, für sich selbst erfüllende Interessen finden. Vielleicht wird der Partner ja neugierig und zieht mit.“
Die ersten ein, zwei Jahre des Ruhestands verlaufen meist noch unproblematisch, beobachtet Vogt: „Man freut sich über die freie Zeit, nutzt sie zum Beispiel für Reisen.“ Doch dann kommt der Alltag und mit ihm die Frage, wie das Leben aussehen soll, wenn das Korsett aus beruflichen und familiären Verpflichtungen es nicht mehr zusammenhält. Nicht immer gelingt es, gemeinsam den Einstieg in den neuen Lebensabschnitt zu schaffen.