Hamburg – Wirbt ein Zahnarzt damit, sich mit Angstpatienten auszukennen, sollte er psychologisch geschult sein. Nur auf die Möglichkeit einer Vollnarkose hinzuweisen, reicht nicht. Denn diese ist nur nötig, wenn eine Grundsanierung ansteht oder viele Zähne behandelt werden müssen, sagt Zahnarzt Mats Mehrstedt. «Rund 70 Prozent der Bevölkerung ist es mulmig beim Zahnarzt», sagt Mehrstedt. Wer merkt, dass sein Herz klopft, sollte seinem Zahnarzt das sagen. Reagiert dieser unwirsch oder mit einem vermeintlich lustigen Spruch à la «Das ist doch nur ein kleines Loch», sollte man sich überlegen, ob das der richtige Arzt ist.
Das gilt auch, wenn der Zahnarzt lapidar darüber hinweggeht, wenn der Patient auch für eine kleine Behandlung eine Betäubung haben möchte. Wer sich mit Spritze wohler fühlt, sollte diese einfordern, rät Mehrstedt. «Ein Patient sollte beim Zahnarzt Ansprüche stellen.»
Doch woher kommt die Furcht? Bis Ende der 1980er Jahre war es üblich, Kinder bei einer Behandlung nicht zu betäuben, wie Mehrstedt erklärt. So gibt es jetzt viele Menschen, die von klein auf gelernt haben, dass die Zahnarzt-Behandlung mit Schmerzen verbunden ist. «Bei manchen Patienten wurde die Angst auch von den Eltern übertragen, wenn diese schlechte Erfahrungen beim Zahnarzt gemacht haben», sagt Thomas Wolf vom Freien Verband Deutscher Zahnärzte. Oft ist es auch die Sorge um Kontrollverlust. «Der Mund ist ein Intimbereich», erklärt Wolf.
Mehrstedt vereinbart mit seinen Patienten, dass sie die Behandlung mit einem «Aaa» jederzeit unterbrechen können. Egal warum der Patient reagiert – sei es, weil ihn in dem Moment die Angst packt oder weil er eine Pause braucht. «Der Patient lernt so, dass er die Kontrolle hat», sagt Mehrstedt, der die Behandlung erst dann fortsetzt, wenn der Patient wieder so weit ist. Ein solches Vorgehen kann jeder mit seinem Zahnarzt vereinbaren, betont er.
Wolf arbeitet mit Hypnose. «Dies ist eine gesteigerte, fokussierte Aufmerksamkeit», erklärt der Experte, der auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für zahnärztliche Hypnose ist. Der Arzt bespricht mit dem Patienten, an welchem Ort dieser sich wohlfühlt und bittet ihn, sich Stichwörter zu überlegen, die diesen Ort beschreiben. Bevor es auf den Zahnarztstuhl geht, lässt der Arzt den Patienten sich diesen Ort vorstellen und nennt immer wieder die Schlüsselbegriffe. Ähnlich wie beim Tagträumen oder wenn man in Gedanken versunken ist. Der Wille ist nicht ausgeschaltet, man schläft nicht.
Für Zahnarzt Michael Leu, der die Deutsche Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie (DGZP) gegründet hat, ist das, was wir unter «Angst» verstehen, eine «Furcht». Denn: «Angst ist mehr als ein mulmiges Gefühl, es ist ein unbestimmtes Gefühl der Beklemmung», erklärt er. Allein der Gedanke an einen Zahnarztbesuch bereitet Übelkeit, schlaflose Nächte, Panik-Attacken. Laut DGZP gibt es in Deutschland etwa fünf Millionen Menschen mit dieser Phobie.
Niemand ist mit der Furcht auf die Welt gekommen. «Angst ist ein erlerntes Gefühl, durch Erlebnisse, die objektiv nicht schlimm sein mögen, die der Betroffene aber als schlimm empfunden hat», erklärt Mehrstedt. Und was man einst erlernt hat, kann man auch wieder verlernen, umpolen – mit Hilfe eines einfühlsamen Zahnarztes.