Hier pulsiert das Leben, es ist immer etwas los. Millionen von Menschen unterschiedlicher Herkunft leben auf engstem Raum zusammen. Hektik, Lärm und Enge der Großstadt beeinflussen die Gesundheit der Stadtbewohner. Sie leiden verstärkt unter Vereinsamung, Ausgrenzung, Depressionen, Angst und Stress. Die 8. Berliner Woche der seelischen Gesundheit beschäftigt sich deshalb vom 10. bis 17. Oktober mit dem Thema „Psychisch krank und mittendrin?!“.
Mitten in einer Großstadt und deshalb psychisch krank? Oder psychisch krank und trotzdem mittendrin im Großstadtleben?
Verschiedenen Studien zufolge treten bestimmte psychische Erkrankungen in Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern verstärkt auf. So leiden ihre Bewohner zu etwa 20 Prozent häufiger an Angststörungen, das Risiko für eine Depression ist bei ihnen sogar um 40 Prozent erhöht. Auch das Risiko, an einer Schizophrenie zu erkranken ist bei Städtern verglichen mit Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind, deutlich erhöht. Was genau belastet die Menschen in der Großstadt so sehr, dass sie seelischen Schaden nehmen? Häufig genannte Belastungsfaktoren sind fehlende Grünflächen, Lärm, Licht- und Luftverschmutzung. Ein weiterer wichtiger Faktor ist sozialer Stress, wie zum Beispiel fehlende Kontakte und zwischenmenschliche Bindungen bei gleichzeitiger Dichte und Überbevölkerung.
Die Amygdala als „Gefahrensensor“
 
„Die Unterschiede zwischen sozialen Netzwerken von Stadt- und Landbewohnern sind extrem groß. Wenn Sie die Menschen fragen: ‚Kennen Sie Ihre Nachbarn und würden Sie für diese etwas tun?‘, dann beantwortet die große Mehrzahl der Menschen auf dem Land diese Frage mit ja, der Städter hingegen mit nein. Und das, obwohl die Menschen in der Stadt auf viel engerem Raum zusammenleben,“ erklärt Prof. Dr. Meyer-Lindenberg, Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für seelische Gesundheit in Mannheim.
Wie sich der städtische Sozialstress auf die Gesundheit des Menschen auswirkt, haben die Forscher des Zentralinstituts mithilfe funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) untersucht. Das bildgebende Verfahren ermöglichte die Untersuchung von Hirnaktivitäten bei Probanden, die unter Zeit-und Konkurrenzdruck Denksportaufgaben lösen mussten. Diese Stresssituation führte vor allem zu einer Aktivierung der Amygdala. Dieser sogenannte „Mandelkern“ im limbischen System ist unter Forschern als „Gefahrensensor“ bekannt und löst Reaktionen des Organismus – wie zum Beispiel Furcht oder Angst – auf eine wahrgenommene Bedrohung aus. „Die Aktivität der Amygdala während einer Stresssituation steigt mit der Einwohnerzahl der Umgebung der Personen stufenweise an. Je größer also die Stadt in der ich lebe, desto höher ist die Aktivierung meiner Amygdala in sozialen Stresssituationen.“ so Meyer-Lindenberg. „Eine Überaktivierung dieser Hirnstruktur ist auf Dauer mit der Entstehung von Depressionen und Angsterkrankungen verknüpft.“
Stresskontrolle per Smartphone
 
Welche Faktoren neben sozialen Belastungen für die Stressreaktionen der Stadtbewohner verantwortlich sind, wird in einem Folgeexperiment der Forschungsgruppe um Meyer-Lindenberg derzeit untersucht. 4000 Städter aus allen sozialen Schichten werden mit einem speziellen Smartphone ausgestattet, damit jeder ihrer Schritte nachverfolgt werden kann. Es soll untersucht werden, wie sie auf Belastungsfaktoren reagieren: „Wenn sich ein Proband im Park befindet, kann ich ihn anpiepsen und ihn fragen, wie es ihm geht, plus ihn ein paar Konzentrationsaufgaben machen lassen. Genauso, wenn sich der Proband in einer Betonwüste befindet, wo rundherum kein Baum zu sehen ist,“ so Meyer-Lindenberg. Die Probanden werden anschließend bezüglich ihrer Stressreaktion im Gehirn verglichen.
„Wir hoffen, dass wir mithilfe unserer Studie Belastungs- und Schutzfaktoren der Stadt in eine Rangfolge bringen können. Daraus wollen wir ableiten, wie die städtische Umgebung verändert werden muss, damit Menschen nicht mehr so belastet werden,“ sagt Meyer-Lindenberg, „Was wir aus den Pilotdaten schon sagen können: Grünflächen sowie natürliche Weite scheinen einen extrem stressreduzierenden Effekt auf den Menschen zu haben.“
Unter günstigen Bedingungen kann das pralle Großstadtleben sogar gesund sein. Verglichen mit Landbewohnern geht es Stadtmenschen im Schnitt finanziell besser, sie haben leichter Zugang zu Gesundheitsvorsorge, Bildung, Sport und kulturellen Angeboten. Außerdem ernähren Sie sich gesünder und haben seltener Diabetes.
 
Eine „toxische Mischung“ entstehe erst dann, wenn Menschen trotz hoher sozialer Dichte in ihrem Lebensraum das Gefühl hätten, sozial isoliert zu sein, erklärt Mazda Adli, Chefarzt der Berliner Fliedner-Klinik. Besonders Menschen mit psychischen Erkrankungen sind häufig von Ausgrenzung betroffen. Vorurteile und Stigmatisierung führen dazu, dass Arbeitgeber, Freunde und Kollegen auf Abstand gehen. Deshalb fordern die Forscher und das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit eine wohnortnahe Betreuung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die das soziale Umfeld der Betroffenen mit einschließt – damit Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht nur mitten in der Stadt, sondern auch mitten im städtischen Leben stehen.
Wie praktische Inklusion für eine Großstadt wie Berlin aussehen kann, versuchen verschiedene Bündnispartner mit Veranstaltungen auf der 8. Berliner Woche der Seelischen Gesundheit zu beantworten:

http://aktionswoche.seelischegesundheit.net/berlin

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